Einer der eindrucksvollsten Momente der Wallfahrt sind für mich alljährlich die Marienrufe in unserer Abschlussfeier in der Basilika von Mariazell, wenn unsere schönsten Stimmen zart rufen und ein kraftvoller Chor aus ca. 200 Teilnehmern antwortet. Und jedes Mal drängt sich mir der Vergleich auf, wie anders es doch damals war beim ersten Mal, als unser kleines Grüppchen von acht Personen ergriffen in der Basilika saß und still teilnahm an der gläubigen Stimmung der vielen Besucher rund um uns. Das war aber auch schon der größte Unterschied. Der Weg war gleich schön, wenn auch etwas beschwerlicher durch das mitgetragene Gepäck und unsere Unkundigkeit des Weges. Und gleich eingestimmt waren wir in der Basilika angekommen durch die guten Gespräche auf dem Weg und die damals noch „Beichte“ genannten persönlichen Gespräche mit unserem Seelsorger auf dem Kreuzbergl.
Die Gruppe Teufelstein des Österreichischen Alpenvereins/Sektion Gebirgsverein war vor kurzem reorganisiert worden, als der damalige Jugendwart Hans Vojtek und ich als Jugendführer auf der Suche nach erlebnisreichen Touren für die Jugend die Idee einer mehrtägigen Wanderung nach Mariazell gebaren. Inspiriert wurden wir durch die Schilderung unserer gemeinsamen Großmutter über deren einzigen Urlaub, nämlich die Wallfahrt nach Mariazell im Rahmen der Pfarre. Über die „Via Sacra“ gingen sie früher den Straßen entlang. Da war der Anreiz: Wir würden das alpinistischer machen, nur auf Waldwegen wollten wir gehen und möglichst nahe der geraden Linie, die wir von Perchtoldsdorf nach Mariazell auf der Karte zogen. Und daraus wurde dann beinahe der gleiche Weg, den wir heute auch noch gehen.
Im Frühjahr 1967 war es dann soweit. Obwohl früh ausgeschrieben, meldete sich nur ein Mitglied der Jugendgruppe, unser aktiver Bergkamerad Dr. Franz Reiter, damals Kaplan in Perchtoldsdorf, ansonsten zwei Ehepaare, Karl und Luzzia
Hudribusch und Hans und Henriette Ruthhofer und die Bergkameradin Liesl Wydler-Zimmermann. (Die anderen aktiven Jugendmitglieder gingen lieber auf den Peilstein klettern).
So wurde aus unserer geplanten alpinistischen Wanderung doch eine Wallfahrt, vor allem durch die Teilnahme unseres Kaplans Franz Reiter und wir waren ihm für die Bereicherung durch seine schönen Gespräche sehr dankbar. Eines gelang ihm aber nicht: das Beten eines kompletten Rosenkranzes durchzusetzen. Zu oft schallte der Ruf „Wir müssen auf den Weg achten!“ dazwischen. Und zur Verzweiflung brachten wir ihn mit unserer Beteuerung „In Mariazell werden wir als erstes zum Kerner gut essen gehen“, die uns so oft auf den Lippen lag, denn kulinarisch war die Wanderung nicht mit heute zu vergleichen. Außer Gulasch gab es kaum etwas in den Gasthäusern, die wir am Weg fanden. Aber natürlich gingen wir dann zuerst in die Basilika und erst später zum Kerner, aber bis zuletzt musste er glauben, dass wir es ernst gemeint hatten.
Und sicher brachte jeder seine Bitten an die Muttergottes vor und war in der gleichen dankbaren Stimmung, die wir heute bei der Ankunft in Mariazell empfinden. War auch so manches anders als heute, eines war gleich: Die Kraft und die Freude, die wir aus dem gemeinsamen Weg schöpfen und mitnehmen.
Dr. Walter Eichberger